Rundreisen eines Wohltäters

Beobachtungen rund um die Kommunalfinanzen

Ein Beitrag von Rainer Ulbrich

Beinahe täglich findet man Berichte in der Presse, dass Finanzminister Thomas Schäfer Kommunen Bewilligungsbescheide und „Geschenke“ überreicht. So auch für Münchhausen: berichtet wurde darüber am 11.08.2018 in der Oberhessischen Presse und natürlich auch auf der Homepage der Landesregierung.

1,85 Mio. Euro für die Gemeinde Münchhausen – das hört sich natürlich erst einmal gut an. Aber was steckt dahinter?

Es geht um die sogenannte Hessenkasse. Dahinter verbirgt sich ein Programm der Landesregierung zum Abbau der Kassenkredite von Kommunen. Viele Kommunen in Hessen haben kein Guthaben auf ihren Konten. Laufende Ausgaben und Investitionen müssen über Kredite – die Kassenkredite – finanziert werden. Das ist sozusagen der Dispo der Kommunen. Im Laufe der Zeit haben sich Kredite in einer Höhe angehäuft, die aus den regulären Haushaltsmitteln nicht mehr abgebaut werden können. Es entsteht der Eindruck, dass die Kommunen, die die Hessenkasse in Anspruch nehmen, in der Vergangenheit nicht richtig gewirtschaftet haben.

Wie konnte das dazu kommen und wieso trifft das nicht alle Kommunen? Bei dieser Frage ist der Bürger schlicht überfordert – selbst als Kommunalpolitiker ist es schwer, alle Zusammenhänge zu erfassen. Die Kassenkredite waren ein ganz normales Werkzeug, das der Gemeindeverwaltung dazu diente, die im Rahmen des von der Gemeindevertretung beschlossenen Haushaltsplanes für das Geschäftsjahr zu tätigenden Ausgaben zu realisieren. So müssen in der Regel alle Ausgaben – angefangen mit den Gehältern der Mitarbeiter der Gemeinde über die Ausgaben für Dienstleistungen – vorfinanziert werden, bevor die Zuweisungen aus den Landesmitteln bzw. die Einnahmen aus den Gemeindesteuern gebucht werden. Auch Ausgaben z.B. für die Wasserversorgung müssen vorfinanziert werden, bevor die Zahlungen der Bürger für das ganze Jahr gebucht sind. Die maximale Höhe der Kassenkredite wurde durch die Gemeindevertretung im Haushaltsplan festgelegt.

Auch Investitionskredite waren kein Problem – waren doch auch diese nötig, um die Investitionen in die Infrastruktur der Gemeinde vorzufinanzieren. Dies war auch für das Land „normal“, wurde doch z.B. ein Zuschuss zu einem Feuerwehrfahrzeug bewilligt, aber mit dem Zusatz versehen, dass dieser erst in 3 Jahren ausgezahlt wird.

Diese Vorgehensweise war viele Jahre völlig in Ordnung und durch die kommunale Haushaltsordnung gedeckt. Mit der Volksabstimmung zur Schuldenbremse 2011 begann die Landesregierung im Land Hessen auch, die Kommunen „an die Leine“ zu legen. Der Rahmen für die Verschuldung von Kommunen wurde immer enger, die Regularien für die kommunalen Haushalte wurden immer schärfer. So sollen am Jahresende die Kassenkredite auf 0 abgebaut sein. Neue Investitionskredite dürfen nur aufgenommen werden, wenn der Einnahmenüberschuss im Haushalt so hoch ist, dass die Tilgungsraten daraus erbracht werden können.

Auch das hört sich gut an, jeder Privathaushalt würde anders nicht funktionieren. Jedoch gibt es für die Kommunen Vorgaben, die den Sachverhalt in einem anderen Licht erscheinen lassen. Die Kommunen haben nämlich vom Land Pflichtaufgaben verordnet bekommen. Die Gemeinde Münchhausen ist z.B. verpflichtet, eine Feuerwehr vorzuhalten, die die Vorgaben zu Hilfsfristen einhalten muss. Sie muss KiTas für alle Kinder zwischen 3 Jahren und dem Schuleintritt bereitstellen. Für die vielen sonstigen kommunalen Aufgaben, wie z.B. die Schulen, muss die Gemeinde die Kreisumlage an den Landkreis entrichten. Eigentlich soll nach der Hessischen Verfassung das Land die Kommunen finanziell in die Lage versetzen, die gesetzlich zugewiesenen Aufgaben durchzuführen – das ist das sogenannte „Konnexitätsprinzip“. Hier jedoch klaffen Anspruch und Wirklichkeit seit vielen Jahren auseinander.

Vorab: Aus Gebühren darf die Gemeinde keine Überschüsse erwirtschaften, d.h. Gebühren dienen nur dazu, die direkt entstehenden Kosten zu decken. D.h. die Wassergebühren dürfen nur die Kosten der Wasserversorgung ausgleichen.

Die Einnahmen der Gemeinde setzen sich hauptsächlich folgendermaßen zusammen: Da sind zunächst die Gemeindesteuern Grundsteuer A und B, Gewerbesteuer und die Bagatellsteuern wie die Hundesteuer. Deren Höhe kann die Gemeindevertretung festsetzen. Der größte Teil der Einnahmen ist jedoch der Anteil an der Einkommenssteuer, der sich konjunkturabhängig nach einem komplexen Verteilungsschlüssel ergibt. Das Einkommensteueraufkommen in Hessen bestimmt den Anteil, den das Land vom Bund erhält. Daraus wird das Geld auf die Kommunen verteilt, die Höhe errechnet sich aus dem Anteil der von Münchhäusern gezahlten Einkommensteuer in Hessen. Noch komplexer in der Berechnung ist die Schlüsselzuweisung, das sind die Mittel des kommunalen Finanzausgleichs, mit dem das Land die angemessene Finanzausstattung der Gemeinden sicherstellen soll. Hier gehen viele Faktoren ein – letztlich wird hier die Steuerkraft der Gemeinde bewertet und daraus der Bedarf für Mittel aus dem kommunalen Finanzausgleich berechnet. Reiche Gemeinden bekommen nichts, arme Gemeinden nicht viel.

Dieser Zusammenhang ist eine der Ursachen, warum die Gemeinde Münchhausen immer „klamm“ ist. Steigt der Einkommensteueranteil in Münchhausen, dann steigt die Steuerkraft und die Schlüsselzuweisung sinkt in den Folgejahren. Erhöht die Gemeinde die Gemeindesteuern oder steigt das Gewerbesteueraufkommen, dann steigt die Steuerkraft und die Schlüsselzuweisung sinkt in den Folgejahren. Zu allem kommt dann noch die Kreisumlage. Auch diese steigt, wenn die Einnahmen der Gemeinde steigen und auch von steigender Gewerbesteuer muss die Gemeinde eine Umlage abführen.

Auf diese Weise hält sich der Anstieg der Einnahmen der Gemeinde in Grenzen und ein so großer Überschuss, dass die Kredite getilgt werden können, kann bei diesem System der Gemeindefinanzierung nicht zustande kommen.

Das Land hat damit die finanzschwachen ländlichen Kommunen an der Leine, sie haben gar keine andere Wahl, als der Hessenkasse beizutreten. Das bedeutet aber auch, dass die Gemeinde den Eigenanteil von ca. 85.000 € pro Jahr auch irgendwie erwirtschaften muss. Wenn sie dafür die Grundsteuer erhöht, dann erhöht sich die Steuerkraft und es sinkt die Schlüsselzuweisung …

Der Leser, der bis hierher gefolgt ist, mag sich sein eigenes Urteil bilden, was es mit den Wohltaten des Handlungsreisenden Schäfer in Sachen Landtagswahl auf sich hat.

Ich hoffe, dass es Münchhausen in den nächsten Jahren schafft, den Haushalt so aufzustellen, dass noch ein gewisser Spielraum für die Gestaltung bleibt. Leider habe ich starke Zweifel, dass das unter den derzeitigen Voraussetzungen gelingen kann. Es bleibt die vage Hoffnung, dass sich nach den Landtagswahlen 2018 etwas zum Besseren wendet.